Dem Ruhrpott sein Bier
Bier ist trotz rückgängiger Zahlen immer noch das Getränk der ersten Wahl im Ruhrgebiet. Die Stadt Dortmund war Biermetropole in Europa. Heute ist sie vor allem Standort für Informationstechnologie und Logistik. Auch von den zahlreichen Brauereien gibt es heute nur noch eine. Doch der Ruf als Bierstadt ist ihr geblieben.
Heinz Zühlke war über 50 Jahre Wirt in Herne und lebt noch heute hinter seiner Gaststätte. Nach dem letzten Schwächeanfall, wies sein Arzt ihn wiederholt darauf hin doch einfach mal mehr zu trinken. Seine Antwort ist typisch für die Kumpel-Generation im Ruhrgebiet: „Watt? Ich trink jeden Tach mindestens`n halben Kasten“, „ja, Herr Zühlke, aber ich spreche hier von Wasser“, so der verzweifelte Arzt. Bis heute versteht Heinz den Unterschied zwischen Wasser und Bier nicht. „Im Pott trinkt man Export und nix anderes“, lautet sein Credo. Zühlke ist da kein Einzelfall.
Das deutsche Nationalgetränk
Bier gehört eben dazu. In der Dortmunder Stadtchronik findet es seine erste urkundliche Erwähnung im Jahre 1266. Bier ist bis heute ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Stadt, die Biermetropole Nummer Eins wurde, und mit ihrem eigenen Bier, dem Dortmunder Export, Weltruhm erlangte – mehr noch als durch Kohle und Stahl. 1968 tranken die Deutschen zu 57 Prozent Export-Bier. Es war weniger herb als Pils, das gerade einmal 19 Prozent erreichte, und länger haltbar.
Die Bierkultur im Pott beschränkt sich natürlich nicht nur auf die Bierstadt. Hier in Essen gilt die Stern-Brauerei von 1872, selbst nach ihrem Abriss 1989, als Kult. Sie gehörte der Familie Funke und übernahm in den 40er Jahren kleinere Brauereien, um sich zu vergrößern, darunter auch die Dampfbierbrauerei “Kronen-Brauerei” in Essen-Borbeck. Diese ist heute Teil der Route Industriekultur. Die Marke Stern ist erhalten geblieben – und zwar im Sortiment der Privatbrauerei Jacob Stauder in Altenessen.
Auch Bochum war und ist Brauerei-Stadt. Die Brauerei Schlegel überstand 130 Jahre bis sie abgerissen wurde. Ihre Anlagen unterstützen jetzt die DAB. Die Privatbrauerei Moritz Fiege gibt es bis heute und ist über die deutschen Grenzen hinaus bekannt und ein beliebtes Ausflugsziel- nicht nur bei Touristen. Nicht zu vergessen ist natürlich auch die König-Brauerei in Duisburg, die heute ein Teil der Bitburger-Gruppe ist.
Brauerei-Sterben und Aufleben der Hausbrauereien
Die kleineren Hausbrauereien blieben aufgrund der neuen Technik auf der Strecke. Die großen Kühlanlagen waren einfach zu teuer. So schrumpfte die Zahl der Brauereien in Dortmund von 74 Betrieben auf 28. Trotzdem nahm Dortmund 1972 mit einer Produktion von insgesamt 7,46 Millionen Hektolitern des Nationalgetränks die Spitzenposition der Bierherstellung in Europa ein. Die Zechenschließungen in den 80er Jahren führten dann zu einer hohen Zahl an Arbeitnehmerentlassungen. Die Kumpel, die an der Trinkhalle ihr Feierabend-Bier zu sich nahmen, wurden weniger – die Leute hatten kein Geld mehr. Die 34 Biersorten, die es in Dortmund gab, wurden nur noch von zwei Brauereien hergestellt und bloß eine davon, die DAB, ist übrig geblieben. Den Brauereien in den umliegenden Städten im Ruhrgebiet erging es ähnlich, Dortmund dient hier als bestes Beispiel. Heinz Zühlke verstand die Welt nicht mehr.
Heute geht der Trend – zum Glück, muss man sagen – wieder in die Richtung der kleinen Hausbrauereien. Technik und Elektronik sind so weit fortgeschritten, dass das kontinuierliche Brauen auch in kleinen Anlagen möglich ist. Erst Recht in einer Gegend, die für ihre Bierkultur bekannt ist. Nicht zuletzt sind wir auf diese Weise Teil des Trends. Und Heinz ist neidisch, dass er nicht selber auf die Idee gekommen ist.